Fotoprojekt: Niedergang einer Kultur
Kulturmarxismus
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Wenn man bereits beim ersten Anlauf einer fotografischen Projektidee, welche man weitestgehend unter dem Motto »Niedergang einer Kultur« einordnen könnte, auf Anhieb bestätig wird (siehe weiter unten im Text), so weiß man nicht nur, dass man möglicherweise richtig liegt, sondern vielleicht sogar schon ein bisschen spät dran ist. Als engagierter Amateur-Fotograf sind mir seit Jahren zunehmend Fotos in meiner Sammlung ins Auge gesprungen, die weniger das Schöne ins Licht setzen, sondern das Gegenteil dessen was man unter dieser Metapher subsumieren könnte. Aber auch ohne Kamera in der Hand, fielen mir in den letzten Jahren immer mehr Hässlichkeiten und Zerfall in unseren Städten auf. Also beschloss ich, an Hand dieser Wahrnehmungen eine Fotoserie zu machen und diesmal nicht nur per Gelegenheit, sondern gezielt an das Thema heranzugehen. Man braucht schließlich ein Ventil. Kurz: Wenn ich tüchtig genug bin, entsteht vielleicht ein Bilderband zu einem Komplex, welcher schlicht nicht mehr wegzusehen ist – sollte sich überhaupt ein Verleger für dergleichen finden.
So bin ich am heutigen Sonntag einmal losgezogen um ein paar entsprechende Aufnahmen von der Landeshauptstadt Saarbrücken zu machen. Zuerst lichtete ich eine Häuserfassade aus der Gründerzeit ab. Bei solchen Motiven ist es immer ganz anschaulich, Gegensätze, sprich Alt versus Neu, schön vs hässlich, gepflegt vs ungepflegt, etc. nebeneinander zu setzen. An besagter Fassade nämlich sah man einen mit Ornamentik verzierten Balkon eines ca. 100 Jahre alten Jugendstilbaus. Ganz unten auf der Straße befand sich je links und rechts des Balkons ein Shop. Links Kebab, rechts ein »Kiosk-Lieferservice« offenbar mit Lizenz der Sonntagsöffnung. In der Mitte, oberhalb einer schäbigen Metall-Glastür, also zwischen Balkon und Eingang, hatte man eine Klimaanlage reingezimmert. Da oberhalb der Anlage noch etwas Platz war, wurde die Lücke mit einer Spanplatte verschönert. Der Balkon selbst zeigte Spuren der Erosion und am Sockel sah man die (ersten) Gräser gedeihen. Merkt keiner! Eben jenen Gegensatz von Balkon und Klimaanlage mitsamt der Ladenlokale und dem Jugendstilbau, insbesondere auch deren Zustand, finde ich symptomatisch für den Zustand unserer Infrastruktur und somit auch die Projektidee. Analog dieses Musters, sollen sich die Fotos entlang hangeln.
An der gleichen Straße weiter oberhalb befand sich ebenfalls ein geöffneter Laden ähnlicher Prägung. Das Ladengeschäft ging ums Eck und im Anschluss an die einmündende Seitenstraße fand ich mein zweites Motiv. Diesmal mit der Architektur aus den 60er Jahren. Zumeist ist vom Bauwerk aus dieser Zeit ja nicht mehr all zu viel zu erwarten, doch hier handelte es sich offenbar um den Versuch, Ideologien von Adolf Loos und Walter Gropius zum Trotz, etwas Gestaltung und Ästhetik mit einfließen zu lassen. Die Häuserfront war mit mosaikartigen Kacheln verziert und die Fenster leicht schräg eingebaut. Nach oben hin überstehend und nach unten ins Gebäude reinragend. Ganz nett, warum auch nicht? Hinter den Fenstern sah man dicke, graue Gardinen und das Ganze wirkte unbewohnt. Die Außenfront mit den Minikacheln war, sowie mittlerweile in allen Städten zu beobachten, mit drittklassiger Graffiti beschmiert. Ganz links zeigte sich anstatt eines Fensters, ein Geldautomat (ebenfalls beschmiert), von seiner schönsten Seite. Oberhalb des Automaten lauerte ein Rolladen in Wartestellung, als ob er bereit wäre, schon mal das Schlimmste zu verdecken. Zwischen Automat und Häuserwand auch hier ein Überschuss an Freiraum, welchen man schlicht mit Porenbetonstein zugekleistert hatte. Stört niemanden!
Ich hatte gerade drei Probeschüsse im Kasten, sprang mich eine aus dem Eckladen kommende, ca. 30 Jahre alte Type an und verbat mir agressiv das Fotografieren. Aus dem Kulturkreis der Rechtgläubigen stammend, hörte sich seine Ausdrucksform entsprechend nachhaltig an. Was ich da tue? Ich entgegnete energisch, dass ihn das nichts angehe. Warum ich überhaupt seinen Geldautomaten fotografiere ey? Ich fotografiere die Architektur, entgegnete ich – was zwar nicht ganz falsch aber schon halb gelogen war. Das sei verboten, da es sich um sein Haus handele. Das glaube ich ihm schon mal nicht, tat ich ihm kund und wollte hinzufügen, dass wenn dem so sei, er doch mal sein Haus putzen solle. Letzteres verkniff ich mir aus Gründen. Und: er könne ja, wenn es ihm nicht passe, die Polizei rufen. Die restliche »Konversation« erspare ich mir an dieser Stelle. Alsbald stieß ein leicht betrunken wirkender Typ hinzu und beobachtete die Szene. Unbewusst »schlichtete« er die Situation. Darauf hin zog ich weiter und der Häuser- und Geldautomatbesitzer verschwand wieder im Laden. Während ich weiter Richtung »Viertel« schlenderte, sprangen mir schon die nächsten Motive ins Auge. Die Lust am Fotografieren war mir jedoch vergangen. Man fühlt sich schlicht nicht mehr sicher und braucht wohl eine Art Bodyguard um etwas dermaßen Harmloses wie Fotografieren von Innenstädten unbedarft tätigen zu können. Immerhin ging die Situation ja noch glimpflich zu Ende.
Zurück zur Projektidee. Der Arbeitstitel »Niedergang einer Kultur« scheint mir dabei nicht mal übertrieben. Man könnte das Wort »Kultur« auch mit »Gesellschaft« ersetzen; was aufs Gleiche rauskäme. Denn nichts anderes kann ich wahrnehmen, wenn ich mich draußen unter Häuser und Leute mische. Man erkennt es an allen Ecken und Enden. Nicht nur an der Infrastruktur, bzw. Architektur der Städte, wovon dieser Artikel handelt. Man sieht es an vielen anderen Dingen wie etwa Kleidungsstil der Leute – bezeichnend hier der Trainingsanzug –, der Sprache, dem Duzen von fremden Leuten, Tättowierungen soweit das Auge reicht, vermüllte Gehwege, Graffiti, ungepflegte Eingänge, und so fort – von den früher dort einmal vorhandenen Vorgärten ganz zu schweigen. All das betrachte ich mehr oder minder eine nach außen sichtbar werdende (Un)Bildung oder eben (Un)Kultur. Expotentiell verschlimmert in den letzten zehn Jahren zu beobachten. Ich vermute stark, dass diese Wahrnehmung irgendwas mit rächtz ist.
Ironischerweise wurden zwischen den beiden hier beschriebenen Tatorten offiziell von der Stadt Saarbrücken, alte Fotos in Großformat aus der Gründerzeit angebracht. Frei nach dem Motto: Schaut mal her, wie es früher hier aussah. Viele Fotos wurden von Dritten noch mit einem Aufkleber ergänzt. Motiv: Ein vermummter SJW. Ebenso prangerte »RESET« auf einigen Großformatbildern. Letzteres ist mitlerweile in jedem Kleinstwinkel Saarbrückens als Graffiti ausfindig zu machen. Die nützlichen Idioten Klaus Schwabs können es gar nicht mehr erwarten. Die meisten der von der Stadt angebrachten Fotos sind mir als Saarbrücker wohl bekannt und ich muss beim Betrachten derer immer wieder staunen, wie sich eine Gesellschaft in bloß 100 Jahren so dermaßen herunterkultivieren kann. Die Anfänge liegen dabei weit zurück. Oft frage ich mich dann, was die Menschen von damals wohl empfinden würden, wenn man in diese Zeit hineindüste und ihnen Fotos oder Videos des Jetztzustandes unter die Nase halten würde. Nicht auszudenken.
Das Viertel, welches sich der Geldautomaten-Szene anschloss, nennt sich »Nauwieser Viertel« und ist eine Art alternaives Szeneviertel. Ich selbst wohnte dort viele Jahre. Begonnen als Wohnviertel der Gründerzeit, ab den 1960er Jahren als Studentenviertel etabliert und ab den 1990ern zu einer Art Szeneviertel avanciert. Studenten gibt es dort immer noch aber die meisten haben graue Haare. Der alternative Luxus der »Nauwies« kommt aber langsam unter die Räder des Zeitgeistes und wirkt zunehmend schmuddelig. Oben erwähnte Kioske drängen folgerichtig zunehmend ins Innere der Szene-Schickeria hinein. Die einst schönen Häuserfassaden sind entweder mit sogenannten »Tags« verschmiert oder mit Plakaten zugekleistert. Aufkleber der Neofa haben dort selbstredent Hochkonjunktur und rufen gratismutig zum »Endsieg gegen Rächtz« auf. Dass dieser nicht ganz erfolglos war und ist, scheint mir an Hand der Schilderungen in diesem Text nicht an den Haaren herbeigezogen. Ich frage mich bloß, ob den dort noch geduldeten Latte Macchiato schlürfenden Langzeitbewohnern des Juste-Milieus, nicht langsam mal ein Licht aufgeht. Ich denke aber eher nicht und sollte mein Vorhaben wirklich einmal in Buchform das Licht der Welt erblicken, bekommt der Band in den Bücherläden des Viertels sicherlich Auslageverbot oder zumindest einen Warnaufkleber mit dem Hinweis auf akute Mikroagressionsgefahr von Seiten der Fotos.
Die Vergettoisierung der Städte schreitet unübersehbar voran. Auch wenn viele Frösche im Wasserglas die Temperaturerhöhung noch nicht mitbekommen haben sollten. Ein Blick auf die maroden Straßen genügt bereits um festzustellen, dass so jedenfalls keine aufstrebende Gesellschaft aussieht.
Kunst: Pissen mit Dolce & Afghaner in Wien
Der Name ist halbwegs witzig: Dolce & Afghaner. Dahinter steckt ein Künstlerduo, welches brandaktuell in Wien eine Pärformenz mit dem Namen »HAMAM statt DAHAM« begeht und für Aufsehen, ja Aufregung gesorgt hat. Ein Jonathan Meese würde sicherlich vor Neid erblassen …
Grob beschreiben lässt sich das Kunstwerk folgendermaßen:
Die zwei Künstler D&G agieren mit Schwert um die Hüfte vor der Karlskirche in Wien mit affigen Verrenkungen unter der Begleitung mehrerer Frauen und Männer. Alle sind in ritterzeitlichen Fummel gehüllt. Zwei der Frauen sind vermummt und nehmen – soweit dies anatomisch möglich ist – ihre Muschi aus der Hose und pinkeln in das Wasserbecken vor der Kirche.