Saarlandwahl 2012, Freie Wähler und Hans-Olaf Henkel im ZEIT-Interview

Freie Wähler
Ob die was taugen?

Als Saarländer muss ich mir langsam Gedanken darum machen, welcher Partei ich meine Stimme gebe. Schließlich sind am 25. März 2012 Landtagswahlen. Da ich keine linke Partei mehr wähle, bleibt nicht viel übrig. CDU? Hmm, hab ich ja noch nie gewählt. FDP? Nö, die auch nicht. Momentan wohl eher die Partei, die ich ohnehin in den letzten Jahren immer wieder gewählt habe: Die Falschen. Ich habe nämlich meistens falsch gewählt. Das macht übrigens Spaß, den Wahlzettel ganz nach Gutdünken zu gestalten oder mit anderen Parteien/Kandidaten zu »ergänzen«.

Aber da gibt es ja jetzt eine weitere Partei – eine Graswurzelbewegung. Nicht die peinlichen Piraten, nein, die Freien Wähler. Die schau‘ ich mir jedenfalls näher an, zumal ich mich gerade mit der libertären Schule um Roland Baader beschäftige. Doch nicht zuletzt aber auch wegen Hans-Olaf Henkel, welchen ich ob seiner Geradlinigkeit und direkten Sprache wegen in letzter Zeit kennen, und schätzen gelernt habe. Die ehemals links-liberale ZEIT interviewte ihn und stellte die von der ZEIT zu erwarteten Fragen.

Henkel äußert sich über Sarrazin, den Euro(-Ausstieg) und die EU als undemokratischen und zentralistischen Superstaat à la EUdSSR.

22.02.2012
Quelle: ZEIT ONLINE

„Ich bin kein Populist“

Früher warb er für EU und Globalisierung. Heute fordert er den deutschen Ausstieg aus dem Euro und verteidigt Sarrazin. Hans-Olaf Henkel erklärt sich im Interview.

Hans-Olaf Henkel auf einer Wahlkampfveranstaltung der Freien Wähler. Von 1995 bis 2000 war er Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie.

ZEIT ONLINE: „Be aware of old men – they have nothing to lose.“ Herr Henkel, ist dieses Zitat von Bernard Shaw so etwas wie Ihr publizistisches und politisches Leitmotiv derzeit?

Hans-Olaf Henkel: Nein. Auch in jüngeren Jahren habe ich schon Thesen vertreten, die alles andere als populär waren oder gar dem Zeitgeist entsprochen hätten.

ZEIT ONLINE: Immerhin haben Sie früher die parteipolitische Linie der FDP vertreten. Heute kritisieren Sie sämtliche Parteien, sowohl Regierung als auch Opposition.

Henkel: Bei meinem Engagement ist es mir niemals um breite Zustimmung gegangen.

ZEIT ONLINE: Vielleicht sehnen Sie sich ja insgeheim doch nach Zustimmung, wie Ihre Unterstützung für Thilo Sarrazin vermuten lässt, der ja angeblich der Mehrheit der Bevölkerung aus dem Herzen spricht?

Henkel: Sarrazin hat viele Dinge angesprochen, die schon seit Jahrzehnten in diesem Lande falsch laufen. Ich habe ihn damals, nach der Veröffentlichung seines Buches, in Schutz genommen, tue dieses auch noch heute, übrigens genauso wie der SPD-Politiker Klaus von Dohnanyi. Hinter vorgehaltener Hand reden doch viele Personen des öffentlichen Lebens wie Sarrazin. Nur hat niemand den Mut, die Dinge beim Namen zu nennen.

ZEIT ONLINE: In der Vergangenheit haben Sie für freie Märkte und die Globalisierung geworben. Den Deutschen unterstellten Sie damals mangelnde Weltoffenheit und fehlendes Konkurrenzdenken. Inzwischen klingen Sie aber eher wie ein Wut- als ein Weltbürger.

Henkel: Ich bin und bleibe Realist. Der Euro wurde als politisches Projekt etabliert, um die Staaten der EU näher zusammenzuführen. Aktuell erleben wir genau das Gegenteil. Der Euro diskreditiert die Idee Europas. In Griechenland wächst beispielsweise die Stimmung gegen die EU, vor allem aber gegen Deutschland. Der Euro spaltet Europa. Die Europapolitik geht in Richtung Fiskalunion statt Subsidiarität: Harmonisierung statt Wettbewerb, Vergemeinschaftung der Schulden statt Selbstverantwortung. Es ist doch grotesk, als Nebenprodukt von diversen Rettungspaketen jetzt einen europäischen Zentralstaat einzuführen.

ZEIT ONLINE: Trotzdem sind Sie gegen einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone.

Henkel: Die Folgen wären nicht überschaubar. Einem Bankensturm in Athen könnte einer in Lissabon und dann einer in Madrid folgen. Eher sollte Deutschland aus dem Euro austreten.

ZEIT ONLINE: Meinen Sie das ernst?

Henkel: Es gibt keinen Königsweg aus dieser griechischen Tragödie, trotzdem ist es verantwortungslos, zu behaupten, es gäbe überhaupt keine Alternative zur aktuellen Einheitseuropolitik. Mein Konzept vom Nord-Euro hätte doch zwei große Vorteile.

ZEIT ONLINE: Welche?

Henkel: Wenn die Niederländer, die Deutschen, die Finnen beispielsweise die Initiative ergreifen, um den Euro zu verlassen und einen Nord-Euro gründen, könnten Länder wie Griechenland, Portugal, Italien wieder wettbewerbsfähiger werden, durch den dann abgewerteten Euro. Für uns hätte es den großen Vorteil die Gefahr einer Inflation zu verringern. Wenn uns eins die Euro-Krise gelehrt hat, dann dies: Wir können einer unterschiedlichen Wirtschaftssituation mit unterschiedlichen Konjunkturen nicht mit einem einheitlichen Zinssatzsystem entgegentreten.

„Ich will keine EUdSSR“

ZEIT ONLINE: Sie haben nicht nur Ihre Meinung über den Euro geändert, sondern kritisieren auch die politische Zielrichtung der Europäische Union.

Henkel: Ja, diese Vorstellungen und Utopien der Euro-Romantiker, von einer Art EUdSSR, entsprechen nicht meinen Vorstellungen und sind eine Gefahr für die Zukunft des Kontinents.

ZEIT ONLINE: „Euro-Romantiker“ und „EUdSSR“, solche Wortwahl klingt aber doch populistisch – oder versuchen Sie damit, die Stimmung in Bierzelten anzuheizen?

Henkel: Ich bin kein Populist und habe noch nie in einem Bierzelt gesprochen. War jemals eine meiner Positionen populistisch? Früher war ich ein enthusiastischer Befürworter des Euro und träumte von einem „Vaterland Europa“. Als Kind habe ich noch die Trümmerlandschaft in meiner Heimatstadt Hamburg erlebt. Mit 16 fuhr ich zum ersten Mal mit dem Fahrrad ins Ausland – über Luxemburg nach Paris und war begeistert. Aber in einem übermächtigen europäischen Zentralstaat möchte ich nicht leben.

ZEIT ONLINE: Trotzdem hinkt doch der Vergleich der EU mit der UdSSR gewaltig?

Henkel: Die Sowjetunion ging doch auch an ihrem Zentralismus zugrunde. Aus meiner persönlichen Lebens- und Berufserfahrung habe ich gelernt, dass der Wettbewerb zwischen kleinen Einheiten immer zu einem guten Ganzen führt. Für die EU fordere ich mehr Förderalismus, weniger Zentralismus. Oder, anders ausgedrückt, mehr Schweiz, weniger UdSSR.

ZEIT ONLINE: Was halten Sie von der These, der Euro diene der Friedenssicherung?

Henkel: Gar nichts. Der Frieden in Europa wird durch unsere Demokratien gesichert. Noch nie hat eine Demokratie eine andere angegriffen. Solche Behauptungen werden doch nur aufgestellt, weil den Euro-Befürwortern die ökonomischen Argumente ausgehen. Zu Zeiten der D-Mark lebten wir ja auch in Frieden mit unseren Nachbarn, wie auch heute noch mit Staaten, die nicht der Euro-Zone angehören. Im Gegenteil: Die zunehmende Aushöhlung der demokratischen Institutionen in der Euro-Zone sorgen für Zwietracht.

ZEIT ONLINE: Übersteigen Ihre Thesen manchmal den Horizont Ihrer Parteifreunde von den Freien Wählern? Immerhin handelt es sich ja um eine Partei, die eher kommunal verankert ist, deren Programmatik von regionalen Themen dominiert wird?

Henkel: Es ist manchmal nicht einfach, die Thematik in ihrer Komplexität zu erläutern und in ihrer Breite darzustellen. Trotzdem sehe ich in den Freien Wählern eine Erfolg versprechende Alternative zu den etablierten Parteien, gerade auch wegen ihrer Bevorzugung von förderalen Strukturen. Die FDP wurde ja einmal Partei ohne Unterleib genannt. Bei den Freien Wählern ist es genau umgekehrt. Also bisher keine bundespolitische Präsenz, dafür aber ein solider kommunaler Unterbau.

ZEIT ONLINE: Es ist also keine eigene Parteigründung von Ihnen mehr zu erwarten?

Henkel: Nein, dafür sind die Hürden in Deutschland zu hoch. Zur Zeit gibt es einige Splitterparteien, die sich liberal oder konservativ oder beides nennen. Keine von diesen hat auch nur den Hauch einer Chance, über die Fünfprozenthürde zu springen. Bei den Freien Wählern ist das anders. Sie sind bereits im bayerischen Landtag, sie haben über 200.000 Mitglieder, sie haben in allen Bundesländern Landesverbände. Sie sind pro-europäisch, stehen aber für eine alternative Euro-Politik. Sie haben das Zeug, die Nachfolge der FDP als liberale Graswurzelpartei anzutreten.