Werben gegen Werbung – Les déboulonneurs

Werbung am Bauzaun
Werbung: keine »ungenutzte« Stelle mehr

Du gehst vor die Tür und fällst über einen Stapel Werbung der auf der Treppe liegt, dein Briefkasten ist vollgestopft mit Wochenblättern obwohl auf ihm steht »Bitte keine Werbung!«, der nächste Bus der an Dir vorbeifährt ist von oben bis unten mit Werbung zugekleistert, die Stadtbahn ist ein einziger Werbebandwurm. An jeder Ecke, auf jeder freien Fläche ein Werbeplakat. Selbst Deine Ohren sind nicht mehr sicher vor den einlullenden Botschaften – ob im privaten oder im öffentlichen Raum. Das Fußballstadion in welches du geht, heißt nicht mehr Volksparkstadion sondern Hamburg-Mannheimer-Arena. Neuerdings flackern überall Videoleinwände mit schlecht gemachten Animationen in den Tag und in die Nacht. 24/7. Das Fernsehn ist nur noch bei den Öffentlich-Rechtlichen halbwegs sicher vor Werbung, Radio ebenfalls und das Web ist nur benutzbar mit Flash-Blocker, – – – man muss schon in den tiefen Wald gehen, um all dem zu entfliehen.

Die Franzosen haben (subjektiv betrachtet) eine ganz andere Streit- resp. Demonstrationskultur als die Deutschen. Das Volk hat den Sinn und Zweck quasi mit der Muttermilch aufgesogen. Bei den Deutschen hat man den Eindruck, sie üben noch. Klar gab es auch hier Revolutionen und es werden Demos abgehalten aber dennoch ist die Streitkultur eine andere. Entweder spazieren langweilige Gewerkschaftstmitglieder oder Kirchenmuttis mit drögen Bannern und Trillerpfeifen durch die Stadt oder der linke wie rechte Mob marschiert auf, zündet Autos an oder singt SA-Lieder. Die Franzosen sind da irgendwie kreativer und auch mutiger. Mutiger nicht im Sinne von Backsteine gegen Polizisten zu werfen, sondern im Sinne des kultivierten, zivilen Ungehorsams, wie ihn Gandhi einst lehrte.

Les »déboulonneurs« déboulent à Paris

Ein Beispiel der jüngsten Tage zeigt die Prortestgruppe Les »déboulonneurs« déboulent à Paris. Die Abservierer, so wie es die Tagesschau übersetzt. Diese Protestgruppe wehrt sich gegen die zunehmende Eroberung des öffentlichen Raumes durch Werbung und versucht mit ihren Protestaktionen das Volk aufzurütteln. Somit erzwingt man eine öffentliche Diskussion. Man wehrt sich gegen die Gehirnwäsche welcher man nicht entfliehen kann, da es keine Möglichkeit mehr dazu gibt. Somit fordert die Gruppe, frei zu entscheiden ob man sich der Werbung aussetzen will oder nicht. Dazu gehört in erster Linie, dass der öffentliche Raum frei von Werbung ist.

Erschwerend kommt in Frankreich hinzu, dass insbesondere in der Pariser Metro Werbekästen mit unsichtbarer Analysekamera angebracht waren. Diese Kästen sind quasi die Vergooglung des realen Raumes. Eine Software nämlich analysiert den Werbebetrachter auf Geschlecht, Alter und wie lange er wo hin schaut. Akzeptanzmessung heißt das im Fachjargon. Dieses Szenario scheint mir in Deutschland erst mal undenkbar. Dafür sind die Bürger hier zu sehr auf Datenschutz; siehe die Diskussion um Google StreetView.

Die Protestler machen nun im monatlichen Turnus mit veschiedenen Aktionen auf sich aufmerksam. Etwa werden die Kästen mit Farbe aus der Spraydose mit Gegenbotschaften versehen. Im Grunde schon einen Schritt weiter als ziviler Ungehorsam, sondern Sachbeschädigung. Doch in Frankreich scheint dies sogar von der Polizei geduldet, denn diese wartet immer noch bis der Spruch auf dem Kasten steht und schreitet erst dann zur vorübergehenden Verhaftung ein. Strafen gab es bisher nur in symbolischer Höhe von einem Euro und die französische Justiz begründet, die Aktionsgruppe hätte ein legitimes Anliegen für ihre Protestbekundung. Die Werbeindustrie selbst hüllt sich in Schweigen und putzt am nächsten Tag die Farbe wieder auf eigene Kosten weg.

Sowas wünsche ich mir auch für Deutschland. Ich finde nicht nur die Gehirnwäsche und alles was dazu gehört so unerträglich, sondern auch die Verhäßlichung unserer Städte und Landschaft als überaus bedenklich. Das kann der Bürger nicht wollen.

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