»Belegschaftseigentum«: Oskar Lafontaines Polemik
Es ist an der Zeit, mich mal wieder um eine meiner anderen »populistischen« Seiten zu kümmern. Gerne hole ich dazu einen in der Mainstreampresse so titulierten »Populisten« bzw. »Linkspopulisten« aus dem Köcher namens Oskar Lafontaine. Über das Weblog Spiegelfechter bin ich auf einen Artikel im Tagesspiegel gestoßen. Lafontaine, offensichtlich wieder bester Gesundheit, schreibt dort einen Aufsatz zum Thema »Sozialisten sind die wahren Liberalen«.
Bei dem Wort »Sozialismus« zucke ich zwar unwillkürlich zusammen, aber dennoch zeigt sich in diesem Aufsatz mal wieder, dass Lafontaine mit Beständigkeit einer der wenigen ist, die am System des Wirtschaftsfeudalismus rütteln. Die Argumente sind einleuchtend und schreien zum Himmel. An Hand der aktuellen Situation der FDP beschreibt Lafontaine die ursprüngliche Idee des Liberalismus und beleuchtet diesen im Bezug zu den Menschen am wirtschaftlich unteren Ende der Systemstufe. Ich bin zwar nicht mit allem d’accord, – zum programmhaften Pazifismus habe ich eine andere Meinung – doch ist es wohltuend mit welcher Stringens und Direktheit Lafontaine dem System die Rechnung macht.
In der Person Lafontaine zeigt sich ebenso exemplarisch wie unsere Gesellschaft von Politik und Einheitspresse gehirngewaschen wird. Personen die nicht ins Dogma des Political Correctness passen werden stigmatisiert und mit der Etikette des Populismuses versehen. Ich habe offenkundig ein Fable für solch schwarzen Schafe. Seien mit der linken oder rechten Ecke abgestempelt, heißen sie Oskar Lafontaine oder Oskar Freysinger. Da bin ich ganz Freigeist.
An Hand zusammengetragener Zitate sei die Polemik im folgenden auf seine Essenz reduziert:
Oskar Lafontaine im Tagesspiegel am 04.06.2011 – Sozialisten sind die wahren Liberalen
[…] weist der italienische Philosoph nach, dass die Liberalen in ihrer Parteiengeschichte die Freiheit in der Regel als Privileg einer Minderheit verstanden haben. Die Theoretiker des Liberalismus hatten kein Problem, das hohe Lied der Freiheit zu singen und gleichzeitig die Unfreiheit und Unterdrückung ganzer Völker und benachteiligter Gesellschaftsschichten zu rechtfertigen. So schrieb der Aufklärer Condorcet im 18. Jahrhundert über das Amerika der liberalen Sklavenhalter George Washington, Thomas Jefferson und James Madison: „Der Amerikaner vergisst, dass die Neger Menschen sind; er hat zu ihnen keinerlei moralische Beziehung; sie sind für ihn lediglich Objekte des Profits.“ Diese Zeiten sind doch längst vorbei, wird man einwenden. Aber ist das wirklich so? Heute bezeichnen viele die Leiharbeit als moderne Form der Sklaverei. Wäre das Urteil: „Der Neoliberale vergisst, dass Leiharbeiter, Aufstocker oder 1-Euro-Jobber Menschen sind. Er hat zu ihnen keinerlei moralische Beziehungen; sie sind für ihn lediglich Objekte des Profits“ eine unzulässige Polemik?
[…]
Und junge Menschen, die von einem befristeten Arbeitsverhältnis zum nächsten weitergereicht werden, scheuen davor zurück, eine Familie zu gründen. Es ist auch kein Zufall, dass der japanische Atomkonzern Tepco Leiharbeiter in die verstrahlten Reaktoren schickte. Solche Praktiken zeigen die hässliche Fratze einer Wirtschaftsordnung, in der die Freiheit als Privileg einer Minderheit begriffen wird.
[…]
Abraham Lincoln erkannte bereits 1847: „Die meisten schönen Dinge sind durch Arbeit entstanden, woraus von Rechts wegen folgen sollte, dass diese Dinge jenen gehören, die sie hergestellt haben. Aber es hat sich zu allen Zeit so ergeben, dass die einen gearbeitet haben und die anderen – ohne zu arbeiten – genossen den größten Teil der Früchte. Das ist falsch und sollte nicht fortgesetzt werden.“
Man kann ihnen aber eine Brücke bauen, damit sie zu neuen Einsichten kommen. Die notwendige Reinvestition des größten Teils der Gewinne in moderne Produktionsanlagen geht im Finanzkapitalismus immer weiter zurück. Statt zu investieren tragen Anteilseigner oder Manager immer größere Teile der Gewinne ins Spielkasino.
[…]
[…] ordoliberalen Freiburger Schule wieder anzueignen. Die Ökonomen um Walter Eucken und Wilhelm Röpke sahen nicht im Privateigentum sondern im Wettbewerb den eigentlichen Antriebsmotor der Wirtschaft. Bei ihnen ging es nicht nur um die Kontrolle wirtschaftlicher Macht, sondern um deren Verhinderung. Zum Erhalt und zur Wiederherstellung des Wettbewerbs forderten sie das Eingreifen des Staates durch Kartellgesetze. Die Entwicklung im Finanzsektor zeigt exemplarisch, wie wirtschaftliche Macht missbraucht wird. Die privaten Banken und Finanzdienstleister haben sich längst selbst verstaatlicht, weil sie so groß geworden sind, dass der Staat sie im Falle des Konkurses nicht fallen lassen kann. Die Freiburger Ordoliberalen würden die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn sie dem Treiben der heutigen Wirtschaftspolitiker zuschauen könnten. Ein Gesetz sollte festlegen, dass das Bilanzvolumen keiner Bank in Deutschland größer sein darf als 10 Prozent des BIP. Die Deutsche Bank beispielsweise könnte dann allenfalls eine Bilanzsumme von 250 Milliarden haben, nicht aber eine von 2000 Milliarden. Ein die Bilanzen der Geldhäuser beschränkender Gesetzentwurf stünde den Liberalen gut zu Gesicht.
[…]
Die Neoliberalen aller Parteien kennen heute Selbstverantwortung nur noch als die Eigenverantwortung der Hartz-IV- Empfänger, aus ihrer „selbst verschuldeten“ sozialen Notlage herauszufinden. Eine Gesellschaft, die die Selbstverantwortung ganz unten reklamiert, während sie sie bei den oberen Zehntausend außer Kraft setzt, ist nur noch pervers.
[…]
[…] K. H. Flach: „Der Rechtsanspruch auf Sozialversicherung ist in Wahrheit der wichtigste Besitztitel in der industriellen Massengesellschaft. Nicht der ist wahrhaft frei, der alle Lebensrisiken selbst trägt, sondern derjenige, dem die Angst vor unverschuldeter Not, unberechenbaren Risiken und vor dem Alter genommen wird.“
[…]
Die Forderung des Freiburger Programms, die Bürgerrechte am Arbeitsplatz zu stärken, steht in diametralem Gegensatz zur FDP-Politik der letzten Jahre. Abbau des Kündigungsschutzes, Durchlöcherung der Tarifverträge, Leiharbeit, Scheinselbstständigkeit, befristete Arbeitsverträge, sich ausweitender Niedriglohnsektor, Aufstocker, 1-Euro- und Minijobs sprechen eine beredte Sprache.
Mit einem prekären Arbeitsplatz wird das Leben immer weniger planbar, da alles auf Kurzfristigkeit angelegt ist, werden kaum noch langfristige Ziele verfolgt.
[…]
Man muss, um den Liberalismus zu seinen Wurzeln zurückzuführen, nicht bei den Kriegen um Öl und Rohstoffe beginnen. Der tägliche Kampf um Einkommen und Vermögen wird durch den Gesellschaftsvertrag geregelt. Obwohl das Eigentum von den Liberalen zur Grundlage der Freiheit erklärt wurde, setzte sich über Jahrhunderte der Gedanke nicht durch, dass dann alle Eigentum brauchen, um frei sein zu können. Die Liberalen müssen zu der Lehre zurückkehren, die unter ihren Gründervätern noch verbreitet war. Eigentum entsteht durch Arbeit und muss denen gehören, die es geschaffen haben. Eigentum und Vermögen, das gemeinsam erarbeitet wird, kann nicht Einzelnen zugeteilt werden. Da weder Privateigentum noch Staatseigentum die Lösung sind, brauchen wir eine neue Eigentumsform, das Belegschaftseigentum. Es ist nicht veräußerbar und wird von Belegschaft zu Belegschaft, statt von Firmenerbe zu Firmenerbe weitergegeben. Aus abhängig Beschäftigten werden Anteilseigner, die eigenverantwortlich über die Zukunft ihrer Arbeitsplätze entscheiden. So stoßen wir das Tor zu einer neuen Unternehmensverfassung auf, die die Grundlage einer wirklich freien und demokratischen Gesellschaft ist und den Feudalismus in der Wirtschaft überwindet. Karl-Hermann Flach hatte recht: Die Befreiung des Liberalismus vom Kapitalismus ist die Voraussetzung seiner Zukunft.