Ayaan Hirsi Ali zu Besuch: ‚Die Feinde der offenen Gesellschaft‘ – Interview im Schweizer Monat
Ayaan Hirsi Ali ist eine Freiheitskämpferin mit trauriger und wirrer Biografie. Sie lebt unter Morddrohung (Fatwa) wie so viele Islamkritiker. Über Wikipedia möge man sich einen Überblick veschaffen. Das Thema Redefreiheit ist eines ihrer wichtigsten Anliegen. Bekannt wurde sie an der künstlerichen Seite des ermordeten Regisseurs Theo van Gogh.
Die Frauenrechlerin und Islamkritikerin lebt zur Zeit in den USA im Asyl. Europa, sprich Holland, konnte oder wollte ihr keine Sicherheit mehr bieten. Zur Zeit ist sie auf Europa-Besuch, hält Vorträge und gibt Interviews. Anbei ein Ausschnitt aus einem akuellen Interview des Magazins Schweizer Monat. In vollständiger Länge online leider nur kostenpflichtig einzusehen. Ein Gespräch über Islam, Immigration und Integration.
Ayaan Hirsi Ali gehört zu den Menschen mit der Gabe, einem mit wenigen Worten das Begreifen von Zusammenhängen und Zuständen zu ermöglichen.
Ayaan Hirsi Ali: […] Das ist meine Kritik an europäischen Gesellschaften: Europäer sind sich zu wenig bewusst, dass die Freiheit erkämpft werden musste und noch immer muss. Selbstzufriedenheit und Gleichgültigkeit dominieren. Es gibt diese Wahrnehmung, unbesiegbar zu sein – als könne hier in Europa nichts Schlimmes passieren oder falsch laufen. In Europa leben 700 Millionen Menschen. Zum Vergleich: in den muslimischen Ländern leben 1,7 Milliarden Menschen. Europa ist eine Minderheit. Dessen ungeachtet halten die Europäer ihre bürgerlichen Freiheiten für selbstverständlich, nehmen sie als gegeben hin und vergessen: was gegeben wurde, kann auch wieder genommen werden.
Schweizer Monat: Sie malen düster. Die Tatsache, dass wir hier ein solches Gespräch führen und Ihre Kritik am politischen Islam publizieren können, zeigt doch, dass die Korrekturmechanismen der offenen Gesellschaft funktionieren …
… aber diese werden auch von jenen benutzt, die diese Art von Gesellschaft in Frage stellen. Karl Popper sprach von den «Feinden der offenen Gesellschaft». Der Feind ist heute in Form einer totalitären Doktrin präsent: islamischer Totalitarismus, politischer Islam, radikaler Islam — nennen Sie das Phänomen, wie Sie wollen. Europa ist der ideale Nährboden für den neuen Totalitarismus. Paradoxerweise machen es Errungenschaften einer offenen Gesellschaft wie Versammlungs- und Meinungsfreiheit den Extremisten leicht, freiheitsfeindliche Botschaften von Gewalt und Unterdrückung zu verbreiten. Sie nutzen die Rhetorik der Freiheit, um die Freiheit abzuschaffen. Ich kenne die Dschihad-Literatur und die Publikationen der Muslimbruderschaft. Sie machen mir Angst.
Für die meisten Europäer klingen diese Botschaften absurd, Wen sollen sie erreichen?
Die Islamisten haben es auf eine klare Zielgruppe abgesehen: heimatlose Immigranten, Menschen in Gefängnissen, Eiferer. Und die Europäer schauen zu. Ich sehe kein konkurrierendes Narrativ, mit dem die Europäer diese Menschen konfrontieren. Ich frage mich: haben die Europäer ihre Geschichte vergessen? 1945, nach dem Ende des Nationalsozialismus, riefen die Europäer zahlreiche Institutionen ins Leben, um neue Formen des Totalitarismus zu verhindern. Sie veränderten das Bildungswesen, machten Aufklärungskampagnen. Und heute? In bezug auf den radikalen Islam geschieht nichts dergleichen. Man schaut lieber weg.
Sie sind bekannt dafür, den Islam heftig zu kritisieren. Nicht alle teilen Ihre Einschätzung der Lage.
Das erwarte ich auch nicht. Was ich erwarte, ist eine offene Debatte über den neuen Totalitarismus — nicht bloss eine akademische Diskussion. Die entscheidende Frage ist doch: Was ist uns die Freiheit in Europa denn wert? Vergleichen Sie die Einstellung von Osteuropäern mit jener von Westeuropäern. Osteuropäer fortgeschrittenen Alters sind viel leidenschaftlicher, wenn es um Freiheit geht, weil sie den Sozialismus noch am eigenen Leibe erfahren haben. Umgekehrt steht der Sozialismus bei vielen westeuropäischen Intellektuellen und Politikern immer noch hoch im Kurs. Ebenso ist es mit dem Islam. Wer ihn nicht wirklich kennengelernt hat, versteht ihn nicht.
«Totalitarismus» ist ein grosses Wort. Und zugleich ein interpretationsbedürftiges. Inwiefern genau hat der radikale Islam totalitäre Züge?
Sein Ziel ist die Errichtung eines totalitären islamischen Staats, eines Weltkalifats mit der islamischen Religion als Quelle der Gesetzgebung.
Wollen Sie damit sagen, dass alle, die sich zum Islam bekennen, ein solches theokratisches Regine anstreben?
Nein. Aber ich halte die von vielen Europäern in Unkenntnis der Lage übernommene Trennung zwischen den vielen guten Muslimen und den wenigen bösen Islamisten für falsch. Was ich sage, ist: der Islam als politische Ideologie trägt klar totalitäre Züge, im Popperschen Sinne einer kollektivistischen Ideologie, für die das Individuum als solches keinen Wert, keine Würde hat. Das sollten wir zur Kenntnis nehmen …